Victorias Erasmus-Praktikum in Frankreich

Interkulturelle Kompetenzen und das Beherrschen unterschiedlicher Fremdsprachen stellen im Kontext meiner international ausgerichteten Ausbildung zur Kauffrau für Groß- und Außenhandelsmanagement einen essentiellen Schwerpunkt dar. Im Rahmen des EU-Bildungsprogramms Erasmus+ bot sich mir im Oktober 2023 die Chance, diese Kompetenzen im beruflichen Kontext weiterzuentwickeln.

Vorbereitungen

Im Zentrum meiner Praktikumssuche stand für mich von Beginn an der Wunsch, meine Französischkenntnisse zu verbessern. Durch meine schulische Ansprechpartnerin ergab sich glücklicherweise schnell ein Kontakt zur Stadtverwaltung Oldenburg und von dort aus wiederum eine Verbindung zu unserer französischen Partnerstadt Cholet, die mir anbot, mein Praktikum in ihrem Verwaltungssitz zu bestreiten.

Um mein Praktikum antreten zu können und ein Stipendium durch das Programm Erasmus+ zu erhalten, schickte ich also einen Bewerbungsantrag inklusive Lebenslauf und Motivationsschreiben auf Französisch an meine Schule respektive nach Cholet. Parallel machte ich mich bereits auf die Suche nach einer Unterkunft – doch dazu später mehr.

Anreise

01.10.2023: Meine Zeit in Frankreich begann nach einem knapp 2,5-stündigen Flug, der von Bremen über Frankfurt nach Nantes führte. Nach anfänglichem Enthusiasmus kam jedoch der große Schock: Ich war sicher gelandet, mein Koffer allerdings nicht. Der steckte nämlich irgendwo in Frankfurt fest und sollte erst einige Zeit später in Cholet ankommen. Auf die im Koffer verstauten herbstlichen Klamotten war ich aber glücklicherweise nicht angewiesen, denn als ich die Hallen des Flughafens verließ, schlugen mir angenehme 30°C entgegen.

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Im schönen Pays de la Loire gelegen ist Cholet eine Stadt, in der man trotz rebellischer Geschichte eine wunderbare Ruhe genießen kann. Cholet ist eine Stadt, in der die Direktorin des Theaters Künstler:innen aus aller Welt begrüßt und trotzdem ihre Besucher:innen beim Vornamen kennt. Und Cholet ist eine Stadt, in der man auf dem Wochenmarkt nicht nur frische Eier, sondern lebendige Hühner gleich dazu kaufen kann. Da Cholet das administrative Zentrum der umgebenden Agglomeration ist, konnte ich mein Praktikum im Verwaltungssitz CHOLET VILLE ET AGGLOMÉRATION sowie im OFFICE DE TOURISME DU CHOLETAIS verbringen. Dort arbeitete ich vier Wochen lang von 9.00 bis 17.30 Uhr beziehungsweise von 9.30 bis 18.00 Uhr mit einer jeweils 90-minütigen Mittagspause.


Direction de la Commande publique et des Affaires juridiques

In meiner ersten Woche in Cholet drehte sich alles um die öffentliche Beschaffung und um Rechtsangelegenheiten. Hier durfte ich vor allem dem Abteilungsleiter aber auch meinen vielen Kolleg:innen bei ihrer täglichen Arbeit über die Schulter schauen: Von der Sichtung von juristischen Dokumenten über verwaltungsinterne Meetings bis hin zur Standortbegehung von zukünftigen Baustellen erhielt ich so meine ersten Einblicke in die Aufgabenbereiche dieser transversal agierenden Abteilung. Als angehende Außenhandelskauffrau war es dabei vor allem spannend, die Vorbereitung von Lieferantenausschreibungen und den Vergleich von Angeboten mitzuerleben. Aus meiner Zeit im „Frankreich-Büro“ weiß ich bereits, inwieweit unser Sortiment auch an eine Gemeinde in Frankreich vertrieben wird. Nun konnte ich den Prozess also auch von anderer Seite kennenlernen!

Direction de la Culture

In meiner Zeit in der Direction de la Culture konnte ich derart viele Impressionen gewinnen, dass ich diese kaum innerhalb eines kurzen Berichts auflisten kann. Daher hier ein paar Highlights: Im MUSÉE D’ART ET D‘HISTOIRE durfte ich Museumsführungen und der Programmgestaltung für junge Besucher:innen beiwohnen. Bei einer Inventarverwaltung erfuhr ich, wie kleinteilig und genau die Katalogisierung von Kunstwerken stattfinden muss. Im MUSÉE DU TEXTILE ET DE LA MODE habe ich im museumseigenen Garten Naturmaterialien gesammelt, um mit einer Gruppe von Schüler:innen Stoffe zu färben. Wie die Arbeit eines Scouts für Theaterstücke aussieht und wie technische Proben ablaufen, habe ich im THÉÂTRE SAINT-LOUIS erlebt. Besonders faszinierend war die Vorbereitung des Empfangs der Künstler:innen für ein Theaterstück, das am Abend präsentiert werden sollte. Während der Herrichtung der Ankleidezimmer und der Zusammenstellung des Caterings konnte ich einen wortwörtlichen Blick hinter die Kulissen erhaschen. Meine Woche in der Direction de la Culture war also perfekt, um die Geschichte und Kultur Cholets, die vor allem durch den Aufstand der Vendée und eine langjährige Textilindustrie geprägt sind, kennenzulernen.

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Direction de la Communication

In meiner dritten Woche in Cholet musste ich zu Anfang etwas grübeln, was eine Direction de la Communication überhaupt war. Dass es dabei um interne Kommunikation in einer Behörde und externe Kommunikation in Form von Öffentlichkeitsarbeit ging, erfuhr ich jedoch recht schnell, da ich bereits an meinem ersten Tag in die praktische Arbeit der Abteilung eintauchen durfte. Kaum hatte ich meine Mitarbeiter:innen kennengelernt, ging es damit los, dass ich einem Kollegen dabei half, die technische Ausrüstung für einen Auftritt des Bürgermeisters zusammenzustellen. Nach diesem Auftakt war auch der Rest der Woche sehr abwechslungsreich gestaltet: Mit zwei Kollegen habe ich den lokalen Viehmarkt von Cholet besucht, um Filmmaterial über den Handel mit Kühen für einen Imagefilm zu erstellen. Dann habe ich den Universitätscampus in Cholet besucht, um dort Studierenden Interviewfragen bezüglich ihres Studiums zu stellen. Ich durfte sogar ein wenig filmen! Und ich habe einen kleinen Einladungstext für die Homepage der Stadt geschrieben.

L'Office de Tourisme du Choletais

Auch meine vierte und letzte Praktikumswoche war durch viel Abwechslung gekennzeichnet. Das Tourismusbüro von Cholet war in meiner Zeit vor Ort in einem Prozess der Neufindung ihres Namens und Logos. Im Rahmen dessen durfte ich an einem Meeting teilnehmen, in dem visuelle und textliche Vorschläge zum neuen Branding und Design besprochen wurden. Außerhalb dessen verbrachte ich einige Zeit am Serviceschalter der Touristinformation und hatte damit Kontakt zu Personen, die ihren Urlaub oder ihre Freizeit in und um Cholet verbracht haben. Auf diese Weise konnte ich noch einige Erkenntnisse über lokale Eigenheiten mitnehmen. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir die Teilnahme an einem Kinderferienprogramm, das vom Tourismusbüro angeboten wurde. In einer kleinen privaten Patisserie konnte ich miterleben, wie man Schokolade herstellt und zu eigenen Kreationen formen kann.

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Man mag es außerdem kaum glauben, aber in einem Tourismusbüro gibt es sehr viele Überschneidungen zu einer kaufmännischen Ausbildung. Da das Logo und der Name des Office de Tourisme geändert werden sollten, haben wir eine Inventur durchgeführt, um zu sehen, wie viele Artikel mit „altem“ Branding noch vorhanden waren. Wir haben Warenbewegungen in einem internen System verzeichnet und neu erscheinende Artikel in den Webshop eingestellt.


Meine Unterkunft und Freizeit

Während meiner Vorbereitung des Praktikums stellte sich leider heraus, dass temporäre Unterkünfte in Cholet rar gesät sind und auch meine Praktikumsbetreuerin warnte mich vor, dass sich die Wohnungssuche unter Umständen schwierig gestalten könnte. Durch einen Kontakt zur ASSOCIATION CHOLET FRANCE ALLEMAGNE hatte ich jedoch das große Privileg, vier Gastfamilien zu finden, die mich für jeweils eine Woche aufnahmen. Und was soll ich sagen? Alle vier Familien waren derart herzlich und liebenswert, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Selbst nach meinen langen Arbeitstagen saßen wir oft bis in die späten Abendstunden zusammen, um über alles Mögliche und Unmögliche zu sprechen – sei es über Kunst, die Rugby-WM oder die Nachbarskatze, die es sich im Garten meiner Gastfamilie bequem gemacht hatte. Merci : vous êtes des familles exceptionnelles !

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Meinen Gastfamilien sei Dank, hatte ich das Glück während der Praktikumszeit in das lokale Leben in und um Cholet integriert zu werden. Ich besuchte einen Malkurs, eine Kurzfilmgala, eine kleine Kunstmesse, zwei Theaterstücke im THÉÂTRE SAINT-LOUIS, die „Fête de la Science“, bei der ein Mitglied meiner Gastfamilie ein Schulexperiment vorführte und einmal ein privates Theaterstück, das im Wohnzimmer einer befreundeten Familie aufgeführt wurde. Ein großes Highlight war darüber hinaus, dass ich vor den Mitgliedern der ASSOCIATION CHOLET FRANCE ALLEMAGNE und Studierenden der Universität in Cholet einen Vortrag über die kreative Leerstandsnutzung in Oldenburg halten durfte.

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Mein Fazit

Lange habe ich überlegt, was ich in meinem Fazit über die französische Kultur schreiben kann. Frankreich, das heißt doch Wein, Käse und Baguette oder etwa nicht? Wenn mir meine Zeit an vier Praktikumsorten und in vier Gastfamilien eins gezeigt hat, dann dass man von französischen KulturEN sprechen kann – Kulturen, die allesamt offen, herzlich, hilfsbereit und gastfreundlich waren und es mir innerhalb eines sehr intensiven Monats ermöglicht haben, meinen Horizont zu erweitern und unvergessliche interkulturelle Erfahrungen zu sammeln.

Französische Kulturen, das heißt auch deutsch-französische Freundschaft. Es heißt, dass in einem kleinen Örtchen im Westen von Frankreich Kohlfahrten unternommen werden. Und es heißt, dass ich als Oldenburgerin während eines Aufenthalts in Frankreich den ein oder anderen touristischen Geheimtipp über meine Heimat erfahre. Ich bin froh, im Rahmen meines Praktikums zum ersten Mal von Cholet gehört zu haben. Der nächste Besuch kommt bestimmt!



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